Trainings- und Spielbetrieb :Ohne Fußball ist alles doof

Der Sonntag ist lahm, die Schwiegereltern sind doof und die Freundin nervt auch. In Phasen wie wir sie derzeit durchleben, sind Fußballer nur schwer zu ertragen. Dass sie in Winterpausen kaum Fußball spielen dürfen, nervt sie gewaltig - und auch ihre Mitmenschen. Benjamin Gries hat sich diesem Thema mal etwas näher angenommen und berichtet über Dinge, die jeder kennt.

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Ohne Fußball ist doof - höchste Zeit also, dass die Saison wieder anfängt

Wir schreiben Sonntagnachmittag, es ist 15 Uhr. Die Schwiegereltern sind zu Besuch. Spontan hatte meine Freundin ihre Eltern beim gestrigen Telefonat zum Kaffee und Kuchen eingeladen. Eine Chance, „Nein” zu sagen, hatte ich nicht. Ich könne froh sein, dass mir das so frühzeitig mitgeteilt wird, sagte meine Freundin in unserer anschließenden Diskussion.

Mein Kopf brummt. „War wohl doch gestern etwas zu viel des Guten”, denke ich, noch während ich mir die erste Kopfschmerztablette in den Hals schmeiße. Während in der Küche der Kaffee durch den Automaten tropft, redet meine Freundin mit ihren Eltern über irgendeinen Zeitplan – Wortfetzen wie „Hochzeit”, „Kinder” und „der süße Hund von nebenan” kommen in meinem Kopf an. Ich nicke vor mich hin. „Betrifft mich ja eh nicht”, denke ich.

Ich fühle mich schlapp, bin müde – vollgefressen von den sieben Teilchen, die wir zusammen mit den zwei Sahne-Torten heute Morgen noch beim Bäcker besorgten. Mein Blick schweift nach unten. Während ich so an mir herunterschaue, bemerke ich, wie fett ich eigentlich geworden bin. Über die Adventszeit gab es wieder einmal richtig gutes Essen, dazu die zahlreichen Süßigkeiten aus den Supermarkt-Regalen des Nachbarorts. Und jetzt standen noch die Weihnachtstage bevor! „Dürfte ich doch jetzt nur Fußball spielen”, murmel ich leise vor mich hin, melancholisch grinsend beim Gedanken an die Blutgrätsche im letzten Hinrundenspiel. „Der hat schon gelb”, haben sie gerufen. „Ich hab' auch Rot”, der Schiedsrichter gesagt. Ich sehne mich zurück an diese Zeit – an eine Zeit der Besinnlichkeit und der freundschaftlichen Gesten. An eine Zeit, wo man Sonntags noch wusste, was man mit sich anzustellen hatte – und nicht aus Mitleid seine Schwiegereltern einladen musste.

Plötzlich spüre ich eine Berührung – irgendwas hatte mich gezwickt. Instinktiv schreie ich „Schiiiiriii” und werfe mich theatralisch zu Boden. Noch während ich mich am Boden wälze, kommt Hannelore, die kleine Yorkshire-Hündin meiner Schwiegereltern, zu mir und schleckt mit ihrer rauen Zunge durch mein Gesicht. „Was ist los mit dir, Schatz?”, fragt meine Freundin mein noch immer am Boden liegendes Ich. Erst jetzt bemerke ich meinen Fehler. Ich versuche mich rauszureden, fasel irgendwas von Horrorfilmen im Vorabendprogramm und blicke dennoch in viele fragende Gesichter meiner Gegenüber.

„Ich bin dankbar, dass meine Freundin so gut vom eigentlichen Inhalt ablenken kann”, denke ich, während meine Freundin instinktiv reagiert und mit der Erwähnung des Kleides ihrer besten Freundin das Thema des Gesprächs gewechselt hat. „Hat sie wohl in Diskussionen mit mir gelernt”, mutmaße ich. Ganze zwei Minuten höre ich schließlich meinem Schwiegerpapa zu, wie er über Lebensversicherungen, Riesterrenten und die Golftour im Sauerland erzählt. „Spannend”, leiste ich meinen Beitrag zur Diskussion und schweife wieder in Gedanken ab.

„Nach dem letzten Spiel werden wir nur noch zwei Mal trainieren und dann für sechs Wochen in die Winterpause gehen.” Wieder einmal waren eben diese Wörter meines Trainers dafür verantwortlich, dass sich mein Leben komplett verändert hatte – weg vom schönen und erfüllten Leben auf den Sportplätzen dieser Welt, hin zu einem trostlosen Kaffee-und-Kuchen-Leben mit den Schwiegereltern. „Unsere vielen Verletzten haben in dieser Zeit die Möglichkeit, sich endlich einmal vollständig auskurieren”, hatte mein Trainer in seiner anschließenden Argumentation gesagt und schließlich noch in meine Richtung ergänzt: „Dann ist unser Hemdchen endlich auch mal wieder fit.” Wutschnaubend – vor allem den letzten Satz betreffend – hatte ich ihm daraufhin einen Vortrag gehalten, dass ich abseits von Muskelzerrungen und Bänderrissen doch eigentlich ganz fit sei und den 40-jährigen Libero der gegnerischen Mannschaft auch so noch länger in Grund und Boden laufe. Dass dieser mittlerweile auch Knieprothesen braucht, um überhaupt laufen zu können – geschenkt. Als der Trainer schließlich versuchte, damit zu argumentieren, dass die Belastungen als Amateursportler ja auch nicht zu unterschätzen seien, und die in Leggings und Handschuhen neben mir stehenden Mitspieler auf das windige Wetter und den kalten Regen verwiesen, war mir der Kragen geplatzt. Mit einem wuchtigen Tritt gegen die Bande verschaffte ich mir nicht nur Luft, sondern verstauchte mir auch den Fuß und provozierte den Ausruf eines Nachbarn, der sich über den lauten Hall beschwerte („Ist heute schon wieder Donnerstag?!”).

Schon wieder muss ich lauthals losgrinsen. „Noch vier Wochen”, mache ich mir Mut. „Noch vier Wochen bis was ist?”, fragt meine Freundin. „Da habe ich wohl wieder laut gedacht”, verfluche ich mich in Gedanken. „Noch vier Wochen, bis wir Jahrestag haben und zusammen essen gehen können”, kann ich mich gerade noch rechtzeitig retten und überrasche damit anscheinend nicht nur meine Freundin. „Aber da hast du doch Trainingsauftakt, Schatz?”, entgegnet sie mir. „Verdammt”, denke ich und rudere zurück. „Man kann ja auch am Tag danach essen gehen”, versuche ich noch, das Bestmögliche aus der Situation herauszuholen, während meine Schwiegermutter mich bereits mit ernstem Blick fixiert.

„Seitdem Winterpause ist, weiß ich mit mir und meiner Zeit kaum noch etwas anzufangen”, denke ich und erinnere mich an den beiläufigen Satz meiner Freundin, dass ich „in letzter Zeit ja schon sehr oft und lange” zuhause sei. „War das vierte romantische Candle-Light-Dinner in den letzten drei Wochen vielleicht doch eins zu viel”, frage ich mich und denke mit einem fetten Grinsen im Gesicht an den ersten Abend, an dem ich den Kellner des Restaurants zunächst dafür anpöbelte, dass er uns fragte, ob er uns die Karte zeigen dürfte, und auf dem anschließenden Nach-Hause-Weg den Gartenzwerg der Nachbarn mit meinem Fußball verwechselte.

„Wozu soll es solche Pausen auch überhaupt geben?”, kehre ich zu meiner Ursprungsfrage zurück. „Die gerade erst angeeignete Spielpraxis finden wir vermutlich erst einen Spieltag vor Rückrundenschluss wieder, der Stürmer kommt mit zehn Kilo zu viel auf den Rippen aus dem Brasilien-Urlaub wieder und die Fitness geht auch verloren”, fasse ich die Gründe gegen eine Winterpause im Kopf zusammen. Schnell muss ich an die Waldläufe und auch an Phase Zwei denken, die mir parallel in den Kopf schießen. Noch in diesen Gedanken murmel ich vor mich hin: „Vielleicht tut eine Pause auch einfach mal gut.” Meine Freundin und ihre Eltern gucken auch fünf Minuten danach noch immer wie ein Auto.

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Benjamin Gries

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