Kommentar :Der Markt regelt

Tiefgekühlte Stadien inmitten der Energiekrise, die fragwürdige Behandlung von Gastarbeitern und Gastgeber, die es mit Menschenrechten nicht so eng nehmen - die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar stand schon vor dem Anpfiff des Eröffnungsspiels am vergangenen Sonntag unter keinem guten Stern. Der Umgang des Weltfußballverbands FIFA mit diesen Themen tut sein Übriges. Der Zuschauer hat in der Hand, wie es nun weitergeht, findet Benjamin Gries.

Zeige Bild in LightboxWüste in Katar (© Montage, mit Material von 9591353082 in der Wikipedia auf EnglischLater versions were uploaded by Diliff at en.wikipedia. - Übertragen aus en.wikipedia nach Commons., Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3916486)
Hier könnte ein Stadion stehen (© Montage, mit Material von 9591353082 in der Wikipedia auf EnglischLater versions were uploaded by Diliff at en.wikipedia. - Übertragen aus en.wikipedia nach Commons., Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3916486)

Vorab: Dieser Kommentar soll kein Aufruf zum Boycott der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar sein. Jeder Fußballinteressierte sollte für sich selbst entscheiden (dürfen), ob er die Weltmeisterschaft verfolgen möchte oder eben nicht. Vielmehr soll der Beitrag dazu anregen, sich seiner Entscheidung bewusst(er) zu werden.

Nun scheint es wie bei so vielen Themen in unserer Gesellschaft genau zwei Perspektiven auf die diesjährige Weltmeisterschaft in Katar zu geben – schwarz oder weiß, dafür oder dagegen.

Die Menschen, die die WM 2022 im Wüstenstaat grundsätzlich befürworten, argumentieren (vor allem und gerne) mit der (offensichtlich) notwendigen Präsenz vor Ort, um Entwicklungen und Verbesserungen im Hinblick auf die Menschenrechtssituation in Gang zu bringen (aka die Verwestlichung des Ostens). „Wie können wir von Ländern wie Katar erwarten, dass sie sich unseren Werten annähern, wenn wir nichts mit ihnen zu tun haben wollen?” scheint dabei die Leitfrage zu sein. So politisch diese Frage auch ist, so unpolitisch sieht FIFA-Präsident Gianni Infantino seinen Weltfußballverband. Politik und Sport seien scharf zu trennen, wiederholte Infantino im Vorfeld des Turniers gebetsmühlenartig und beschwor stattdessen in einer denkwürdigen Pressekonferenz einen Tag vor dem Eröffnungsspiel die verbindende Kraft des Fußballs (sowie die Verbindung von Wirtschaft und Sport).

Was er meinte, war wohl diese Szene hier während des Eröffnungsspiels zwischen Katar und Ecuador:

„Wie kann man nur eine Fußball-Weltmeisterschaft in solch ein Land vergeben?“, fragen sich dagegen die Menschen, die einen Boycott in Erwägung ziehen und neben Problemen mit der Nachhaltigkeit (tiefgekühlte Stadien inmitten der Energiekrise, Nutzung der Stadien im Anschluss an die Weltmeisterschaft) vor allem die fragwürdige Behandlung sowie die unaufgeklärten Todesfälle von Gastarbeitern als problematisch ansehen – wobei niemand genau sagen kann, wie viele Menschen jetzt eigentlich genau an oder doch „nur” mit der WM gestorben (bspw. durch Krankheiten, die nicht im direkten Zusammenhang mit der Arbeit an und in den Stadien stehen). Mindestens ebenso problematisch ist, dass Katar es mit den Menschenrechten (zumindest nach westlichem Verständnis!) nicht so eng nimmt und Homosexualität in Person seines WM-Botschafters als “mental damage”, also als „geistigen Schaden“ bezeichnet.

Fußball ist politisch

Solche Ansichten kann man mit einem westlichen Werteverständnis eigentlich nicht nachvollziehen. Kompliziert wird es dadurch, dass man sowohl dem Argument der Völkerverständigung als auch dem Ruf nach Menschenrechten folgen kann und will – und die alte Formel „Fußball ist unpolitisch“, die so oder so ähnlich übrigens auch noch in unserer Satzung steht, dabei längst nicht mehr gültig ist.

Das zeigt sich zum Einen in den Fußballverbänden, die seit der Vergabe der Weltmeisterschaft keine allzu großen Bedenken bezüglich der Menschenrechtssituation in Katar hatten und erst jetzt – auf Druck der Öffentlichkeit hin – aus ihrer Deckung kommen.

Das zeigt sich zum Anderen in der Politik, die die Energieersatzlieferungen aus Katar gerne annimmt, auf den Stadionbesuch als Gegenleistung aber im Grunde am liebsten verzichten würde.

Das zeigt sich aber auch in Diskussionen mit Freunden oder Mannschaftskollegen, die sich als Zuschauer in einer Zwickmühle sehen. Erst in der vergangenen Woche sagte ein Mannschaftskollege in einer Diskussion während des Trainings, dass er die Menschenrechtsverletzung in Katar zwar durchaus wahrnehme (und auch nicht gut finde), er als Einzelner aber ja ohnehin nichts daran ändern könne.

Verbindung von Wirtschaft und Sport

Dabei muss doch klar sein: Wer für die Weltmeisterschaft ist, unterstützt (direkt und indirekt) die Handlungen von der FIFA und Katar – und hat damit sehr wohl einen gewissen Handlungsspielraum. Hört man Infantino bei seinen Wortmeldungen nämlich genau zu, wird ziemlich schnell klar, was ihm wichtig ist: Die Verbindung von Wirtschaft und Sport (und zwar in der Reihenfolge). Man muss also kein Genie sein, um zu erkennen, woran Infantino den Erfolg dieser Weltmeisterschaft messen wird.

Dabei ist das Maß für eine erfolgreiche WM inzwischen nur noch zu einem sehr geringen Anteil die Menge an verkauften Tickets und Trikots, die wir als Fans bzw. Konsumenten kaufen (dieser Part macht den geringsten Anteil bei den Einnahmen dieses Turniers aus). Das Maß wird in Zukunft auch nicht mehr alleine die Kombination aus reinen Gewinnen nach Steuern und Sponsorengeldern sein, die aktuell noch den größten Anteil an den Einnahmen ausmachen. Das wichtigste Messinstrument werden in Zukunft die TV-Zuschauer- und Klickzahlen sein. Denn: Eine WM, die keiner guckt, möchte kein Sponsor dieser Welt unterstützen. Letztlich werden also diese recht banalen Dinge darüber entscheiden, ob sich eine Weltmeisterschaft wie diese unter der Regide von Infantino wiederholen wird – Dinge also, die der Zuschauer und Konsument in der Hand hat. Christian Lindner würde sagen: Dinge, die der Markt regelt.

Nun ist es umgekehrt aber leider auch nicht so einfach wie es scheinen mag: Denn wer die Weltmeisterschaft nicht unterstützt und sogar boykottiert, der müsste ja eigentlich auch Dinge wie Gaslieferungen aus Katar scheiße finden (und boykottieren?). Und genau das ist wohl, was Infantino meint, wenn er die Kritik an Katar als bisweilen heuchlerisch bezeichnet, die Doppelmoral des Westen geißelt und damit – so weh das tut – natürlich einen Punkt hat.

Diese Situation ist vertrackt, weil ich als Zuschauer und Fan gezwungen werde, mich zu dieser WM zu positionieren. Muss ich diese WM gucken – weil ich froh bin, dass die eigene Wohnung warm ist? Oder umgekehrt: Muss ich auf die Energielieferungen aus der Wüste verzichten (wollen), weil ich die Menschenrechtsverletzungen nicht ignorieren möchte und das Turnier boykottiere? Welche Möglichkeiten des Protests hat Deutschland eigentlich sportlich und politisch noch, wenn schon die Androhung einer gelben Karte reicht, um vor der FIFA und Katar einzuknicken? Und: Ist ein in Katar wohnhafter FIFA-Präsident die geeignete moralische Instanz zur Bewertung der Menschenrechte in Katar?

Fragen, die ich für mich längst beantwortet habe. Mit großer Sicherheit wird der Markt dies auch tun.

Die im Kommentar geäußerten Inhalte und Meinungen spiegeln nicht unbedingt die Meinung des BSV Viktoria Bielstein wieder. Der Verein übernimmt keine Haftung für den Kommentar.

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Benjamin Gries

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